Nicht nur auf landwirtschaftlichen Flächen wollen wir Esswälder pflanzen, auch in Städten und Gemeinden. Aus unserer Sicht sollte eigentlich jedes Quartier über einen Gemeinschafts-Waldgarten verfügen und unsere Lebensräume in essbare Landschaften gewandelt werden. Warum das so ist und was dies mit Überschwemmungen, Überhitzung, Feinstaub, Biodiversität, Nahrungssicherheit, CO2-Speicherung, Gemeinschaft, Erholung, Zufriedenheit und Gesundheit zu tun hat erfährt ihr im folgenden Artikel.
Herausforderungen einer fortschreitenden Urbanisierung
Die Urbanisierung in der Schweiz schreitet voran. Aktuell leben etwa 83% der Schweizer Bevölkerung in Gebieten mit städtischem Charakter, d.h. in den Städten und ihren 49 Agglomerationen. Und diese haben sich seit Mitte des letzten Jahrhunderts in etwa verdoppelt. Die grösste Agglomeration der Schweiz stellt hierbei diejenige von Zürich dar mit etwa 1.4 Millionen Einwohnern. Sie umfasst einen Radius von 35 km um das Zürcher Stadtzentrum.
Damit diese Agglomerationen wachsen konnten wurde natürlich gebaut, viel gebaut. Und damit einhergehend auch einiges an Fläche versiegelt. In den letzten 24 Jahren hat die versiegelte Fläche denn auch um etwa 29% zugenommen. Das Bundesamt für Statistik schreibt hierzu:
«Als versiegelte Flächen gelten insbesondere Gebäude und Strassen. Durch die Versiegelung verliert der Boden seine natürliche ökologische Funktion als Lebensraum, Speicher und Filter sowie die Fähigkeit, Stoffe umzuwandeln und abzubauen» – Bundesamt für Statistik (BfS)
Nicht nur der Verlust an Boden und seinen Ökosystemleistungen, auch weitere Konsequenzen ergeben sich durch die fortschreitende Verstädterung und ihre Bauweisen. Das müsste nicht sein, ist aber so.
Bevor wir jedoch weiter darauf eingehen, ein kurzer Abstecher nach Davis, Kalifornien.
Village Homes in Davis - Kalifornien (USA)
Hier planten und bauten das Architektenpaar Michael und Judy Corbett zwischen 1975 und 1981, als Antwort auf die Ölkrise in 1973, in partizipativer Weise mit zukünftigen Anwohnern ein ziemlich unkonventionelles und beeindruckendes Stadtviertel. Bill Mollison, der Begründer Permakultur, war begeistert davon. Er besuchte dieses Quartier mehrere Male und bezeichnete es als einer der schönsten Plätze auf Erden.
Nun, gebaut wurde die Siedlung bevor seine ersten Bücher zur Permakultur überhaupt veröffentlicht wurden. Trotzdem sind die beim Bau verwendeten Prinzipien grundsätzlich dieselben. Dies verwundert nicht, denn beide waren auf der Suche nach energieeffizienterem Design.
Gemäss dem Architekten Michael Corbett standen daher beim Projekt Village Homes vor allem drei Aspekte im Vordergrund:
- Natürliche Versickerung: Der Regenabfluss der Strassen und Dächer geht nicht in die Kanalisation, sondern wird mithilfe von Sickergräben, auch Swales genannt, in die Landschaft geleitet. Dort versickert es nur langsam und steht den Pflanzen und Bäumen in Trockenzeiten zur Verfügung.
- Essbare Landschaft: Die gesamte Siedlung wurde als grosser Esswald konzipiert, wobei der gemeinschaftliche Teil der Flächen fliessend in die Privatgärten übergeht. Überall wachsen und Obst- und Nussbäume, Reben, Beeren und unzählige weitere essbare Pflanzen die allen Bewohnern zur Verfügung stehen.
- Passivsolarbauweise: Die höchst energieeffizienten Häuser wurden so ausgerichtet und gebaut, dass sie im Sommer optimal beschattet und damit gekühlt werden. Im Winter hingegen werden sie durch die einfallende Sonne gewärmt. Das Heisswasser wird auf den Dächern durch die Sonne erzeugt und inzwischen kommt auch ein Grossteil des Stroms durch Solarenergie.
“Village Homes is one of the world’s best examples of sustainable development – it doesn’t degrade the environment that future generations will inherit” – Time Magazine
Zudem wurden die geschwungenen Strassen und Wege so angelegt, dass man zu Fuss oder per Velo schneller ist, als mit dem Auto. Und sie werden durch Bäume beschattet, so dass im Sommer die Hitzeentwicklung minimiert wird.
Michael Corbett fügt an, dass hier wohl etwa 70% der benötigten Nahrungsmittel aller Anwohner produziert werden könnten, wenn man denn wollte.
Versiegelung & Co
Nun denn, zurück in die Schweiz. Wie erwähnt schreitet die Urbanisierung und die damit verbundene Versiegelung voran. Die Konsequenzen sind vielfältig.
Nicht nur geht in luft- und wasserdicht abgeschlossenem Boden das Bodenleben zugrunde und damit Bodenfruchtbarkeit verloren, auch schwinden die Grundwasservorräte. Denn um diese gefüllt zu halten, müsste das Regenwasser an Ort und Stelle versickern können. Doch wird dieses grösstenteils durch die Kanalisation abgeleitet, was unter Umständen auch die zukünftige Trinkwasserversorgung gefährdet.
Zudem wird es problematisch im Falle von Starkniederschlägen, denn die versiegelten Flächen und Kanalisationen können nur bedingt hohe Wassermassen aufnehmen und Überschwemmungen sind die tragische Konsequenz. So werden denn auch verständlicherweise Forderungen von Fachleuten laut, entsprechende Anpassungen in der Städteplanung vorzunehmen. Mehr Bäume und Grünflächen, Rückhalte- und Versickerungsflächen sowie die Renaturierung von Flussläufen sind nur einige der zielführenden Ansätze. Im Idealfall spricht man nach der Implementierung dieser blau-grünen Infrastruktur von einer Sponge City (Schwammstadt). Diese saugt das Regenwasser förmlich auf und das auch bei Starkniederschlägen.
Doch nicht nur wird das Wasser im Zuge der Versiegelung zum Problem, auch kann die Hitze im Sommer vor allem in den zugepflasterten Stadtkernen unerträglich werden.
Spaziert man bei über 30 Grad hingegen durch einen Wald, findet sich eine bestens klimatisierte Umgebung vor und es ist angenehm kühl.
Dieser Effekt baut hauptsächlich auf zwei Grundlagen auf; einerseits kühlt die Beschattung und andererseits trägt Verdunstung einen hohen Anteil mit.
Der Boden sowie die Pflanzen verdunsten stetig Wasser, Bäume bis zu mehrere hundert Liter am Tag. So empfiehlt denn die Akademie der Naturwissenschaften in der Schweiz (SCNAT) auch für dieses Problem als Lösung mehr Bäume und Grünflächen, bewegtes Wasser und Beschattung im Allgemeinen. Oder kurz gefasst nach dem Motto von Sitten im Wallis:
«Bäume pflanzen, Beton aufreissen –
Mehr Grün und Blau als Grau» – Sitten, VS
Dies wäre auch unserer Gesundheit förderlich, denn starke Hitzewellen führen nachweislich zu mehr Todesfällen. Doch nicht nur die Hitze stellt ein Problem in versiegelten Gegenden dar, auch fehlt es vielfach an guter Luft zum Atmen. Denn Feinstaub, Ozon & Co sind ständige Begleiter von Hitzewellen und verursachen gerne auch gesundheitliche Probleme, vorwiegend in vegetationsarmen Gegenden.
So müssen die urbanisierten Menschen denn auch zur Erholung «raus in die Natur», meist geht das nicht einfach schnell zu Fuss. Denn unsere Art des Bauens trennt noch gerne zwischen «Wohnraum» und «Erholungsraum» sowie werden auch die «Nahrungsmittelanbauflächen» ebenfalls separiert resp. immer weiter von den Zentren der Städte und Agglomerationen verdrängt. Doch muss das sein? Wäre es nicht möglich all dies zu kombinieren?
Die Village Homes in Davis haben gezeigt, dass auch alles in einem möglich ist. Gebaut haben wir einen Grossteil unserer Siedlungen bereits, doch spricht eigentlich nichts dagegen, nun damit zu beginnen unsere Städte und Agglomerationen in Erholungsraum umzuwandeln. Wird zusätzlich noch der Nahrungsmittelanbau miteinbezogen, dann sprechen wir von essbaren Städten resp. essbaren Siedlungen. Und hier kommen nun die Esswälder ins Spiel.
Urbane Esswälder als multifunktionaler Lösungsansatz
Wie in unserem ersten Artikel «Ein Esswald für jeden Bauernhof» bereits detaillierter beschrieben sind Esswälder, auch Waldgärten genannt, multifunktionale Ökosysteme. Sie können nicht nur eine Unmenge an Nahrungsmitteln, wie Obst, Nüsse, Beeren oder Gemüse produzieren, sondern sie erfüllen auch noch ganz andere Funktionen und Ökosystemleistungen.
Der Hohe Grad an Biodiversität bietet zahlreichen Insekten, Vögeln und anderen Wildtier(ch)en Nahrung und Unterschlupf. Mit ihrem Baumbestand beschatten sie den Boden und zusammen mit der ständigen Verdunstung aller Pflanzen, kühlen sie die Umgebung an Hitzetagen und reinigen gleichzeitig die in städtischer Umgebung häufig belastete Luft. Sie bauen den Boden auf und absorbieren das Wasser, wenn es mal wieder stark regnet.
«Der Wettlauf für eine nachhaltige Entwicklung wird im Siedlungsgebiet entschieden» – Klaus Töpfer ehemaliger Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP)
Und natürlich ist auch der positive Effekt der Biodiversität und Natur im Allgemeinen auf unsere Psyche und Gesundheit nicht zu unterschätzen. Dies zeigen zahlreiche Untersuchungen, welche vor allem auch in Japan zum Thema Waldbaden durchgeführt wurden. Das «Shinrin Yoku» ist dort denn auch ein verbreitetes Forschungsgebiet an verschiedenen Universitäten. Interessant ist, dass man um in den Genuss dieser positiven Wirkung der Natur zu kommen, gar nicht mal zwingend in einen richtigen Wald gehen muss. So zeigte sich beispielsweise, dass nur schon die Möglichkeit durch ein Spitalfenster einen Baum zu sehen, die Heilung von Patienten signifikant schneller voranschritt.
Aber auch bei uns wird geforscht, so hat die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in einer Untersuchung zum Thema «Die Bedeutung der Landschaft für die menschliche Gesundheit» aufgezeigt, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung in Umgebungen mit einer hohen Biodiversität wohl fühlt.
Und nicht zu unterschätzen ist auch der Bildungswert solcher Landschaften, denn vor allem Stadtkindern, doch eigentlich sämtlichen Bewohnern bietet sich die Möglichkeit die Natur, die Funktionsweise von Ökosystemen und verschiedenste Pflanzen, ob essbar oder nicht, kennenzulernen.
Spannend wird es, wenn wir uns anschauen wie genau denn eine solche Landschaft gestaltet werden sollte. Eine weitere Arbeit des WSL gibt hier interessante Einblicke. Im Zuge einer Untersuchung zur «Biodiversität in der Stadt – für Mensch und Natur», wurden die Landschaftspräferenzen von Menschen in verschiedenen Städten der Schweiz eruiert.
Und die Ergebnisse sprechen für sich und für Esswälder.
Es scheint, dass Biodiversität und Pflanzungen auf verschiedenen Ebenen präferiert werden. Und Esswälder können je nach den Menschen, welche sie pflanzen und pflegen, unterschiedlichste Gestaltungsformen annehmen. Am ehesten ähneln sie aber den Bildern b) und c) aus der Befragung. Meistens wird der Hauptunterschied dann darin liegen, dass anstelle einfacher Blütenwiesen als Unter- und Zwischenbepflanzung der Bäume noch eine Vielfalt an Beeren- und Supportpflanzungen sowie zahlreiche, auch essbare Pflanzen, hinzukommen. So wie beispielsweise im Gemeinschaftswaldgarten Bedford Fields in Leeds, UK.
Ein schönes Beispiel eines urbanen Esswaldes welcher etwa 10 Jahre alt ist, gemeinschaftlich gepflegt wird und offen für die gesamte Bevölkerung ist.
Und solche Beispiele existieren weltweit bereits zahlreich. Schauen wir uns nun einige der herausragendsten Projekte in Europa und den USA an und lassen uns inspirieren, solche auch bald in unserer Nachbarschaft zu pflanzen.
Urbane Esswälder und Waldgärten in der Praxis
In Deutschland sind der Bund und die Universitäten bereits eifrig daran, Waldgartensysteme in der Landwirtschaft zu evaluieren. Doch auch für den urbanen Raum wurden durch das Bundesprogramm «Biologische Vielfalt» bereits Gelder gesprochen und nun werden in Zusammenarbeit mit der Universität Potsdam im Rahmen des Projektes «Urbane Waldgärten: Mehrjährig, mehrschichtig, multifunktional» erste Flächen in Berlin und Kassel geplant und gepflanzt.
Die folgende im Rahmen des Projektes produzierte Animation gibt einen schönen Einblick in die verschiedenen Funktionen eines Waldgartens sowie die verschiedenen Phasen seines Wachstums.
Animation – Urbane Waldgärten (Quelle)
Wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung der drei Modellprojekte.
Schauen wir nun nach Osten in Richtung unseres zweiten deutschsprachigen Nachbarn Österreich, fällt der Fokus in erster Linie sicherlich auf Bernhard Gruber, seinen über 30 Jahre alten Waldgarten und das damit verbundene Österreichische Waldgarten-Institut.
Über diesen Familien-Waldgarten, den übrigens der Vater von Bernhard vor über 30 Jahren angelegt hat, werden wir in Zukunft noch detaillierter berichten. Doch da wir uns im Moment mit den öffentlicheren Projekten in urbanen Räumen beschäftigen, gehen wir gleich weiter zu Sigi Tatschl und seinem Projekt «Essbare Stadt – Essbare Gemeinde – Öffentliche Obstgärten».
Sein Alchemistenpark in Kirchberg am Wagram ist hierbei das wunderbare Kernstück der beispielhaften essbaren Gemeinde in Österreich, welche inzwischen ein einziger riesiger Obstgarten ist. Und in diesem können sich die Bewohner und Gäste nach Belieben von den über 200 Obstarten bedienen, welche sich nicht nur im Park befinden, sondern auch über die gesamte Siedlung verteilt gepflanzt wurden.
Die Gestaltung des Parks ist zwar nicht gemäss den Prinzipien eines klassischen Waldgartens mit seinen insgesamt sieben Schichten nachempfunden. Doch ist die Vielfalt der Arten an Pflanzen beeindruckend und wir sind begeistert von allen Ansätzen unsere Lebensräume in essbare Landschaften umzugestalten.
“Wir verwandeln unsere Gemeinden, Städte, öffentliche Flächen in Obstgärten. Nämlich Obstgärten für Alle. Wo man vom Frühjahr bis in den Winter hinein Obst findet, zum Verkosten, zum Kennenlernen. Plätze, wo alle Menschen zusammen kommen können. Und das Obst ist es, das die Menschen zusammenführt.” – Sigi Tatschl
Unser drittes Beispiel vom europäischen Festland kommt aus Holland, wo Waldgärten aktuell vermutlich so im Trend sind wie nirgendwo sonst. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch urbane Esswälder ein grosses Thema sind. So beispielsweise in Rotterdam, wo die Genossenschaft «Ondergrond» ein Netzwerk von Esswäldern und essbaren Grünflächen pflanzt.
Ihre Vision ist nichts weiter als ein Systemwechsel in der Landwirtschaft sowie im urbanen Grünmanagement und neuen Formen des Wirtschaftens und der Entwicklung einer Selbstverantwortlichen integrativen Gesellschaft organisiert als ein Ökosystem im Sinne eines Esswaldes. Genau nach unserem Gusto – Zukunft EssWaldLand.
Doch nicht nur auf dem europäischen Festland wird an neuen Formen unseres Daseins als Gesellschaft und vor allem an neuen Formen der Lebensmittelproduktion und -vermarktung gearbeitet. Auch in England existieren zahlreiche Initiativen. Nicht nur kann man die Insel als den Geburtsort der Wiederentdeckung von Waldgärten bezeichnen, auch wurde hier, genauer in Totnes, im Jahr 2005 die Transition Towns – Bewegung gestartet. Hierbei geht es nicht nur um neue Formen der Nahrungsmittelproduktion, sondern übergeordnet darum, wie wir uns in einer postfossilen Welt, gemeinschaftlich organisieren und die Wirtschaft relokalisieren können.
Nicht wenige von uns haben zum ersten Mal von der Transition Bewegung gehört durch Beiträge, welche über die Bewohner von Totnes berichten, während sie auf öffentlichem Grund am Gärtnern sind.
Die «Incredible Edible» Initiative war hierfür verantwortlich und besteht aus einer dynamischen Gruppe von Freiwilligen, welche in der ganzen Stadt auf öffentlichen sowie unbenutzten Flächen Gemüse, Früchte, Nüsse, Kräuter und essbare Blüten anbauen, welche von allen Bewohnern geerntet und gegessen werden dürfen. Und natürlich ist auch ein Esswald Bestandteil von Incredible Edible.
Und solche öffentlichen Esswälder finden wir auch an unzähligen anderen Orten auf der Insel.
So wie zum Beispiel in London, wo im Finsbury Park im Norden Londons das Non-Profit Projekt «Edible Landscapes London» mit ihrem Waldgarten angesiedelt sind. Neben der Pflege des eigenen Esswaldes ist eines ihrer Hauptziele das Vermitteln von Wissen zur Planung, Pflanzung und Pflege von Waldgärten, so dass auch in anderen Quartieren von den jeweiligen Bewohnern solche Ökosysteme angelegt werden können. Zu diesem Zweck pflegen sie auch eine kleine Pflanzenanzucht und Baumschule, so dass sie neue Projekte direkt mit ersten Pflanzen versorgen können.
Bevor wir nun weiter über den Atlantik zu unserer letzten Station in die USA gehen, schauen wir uns noch kurz das wohl spektakulärste Beispiel aus England an. In Reading, westlich von London, befindet sich der «RISC Rooftop Garden». Auf 200m2 wurde hier auf einem Dach ein Waldgarten gepflanzt, dessen Bäume inzwischen bis zu 6m hoch sind. Und das bei gerade mal 30cm Erdschicht.
Die Initiative hierfür kam durch das «Reading International Solidarity Centre (RISC)», einer Wohltätigkeits- und Entwicklungsorganisation, welche mit Schulen und lokalen Gemeinschaften zusammenarbeitet sich grösstenteils mit Themen wie Nachhaltigkeit, Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit auseinandersetzt.
Die Gestaltung dieses Dachgartens erfolgte wie üblich bei Waldgärten nach Permakultur Prinzipien und somit ist der Gebrauch lokaler Ressourcen und der Gedanke der Kreislaufwirtschaft selbstverständlich.
So werden sämtliche organischen Abfälle des Cafés im Gebäude darunter im Dachgarten kompostiert und die so gewonnenen Nährstoffe dann direkt wieder den Pflanzen zugeführt. Im Gegenzug profitiert das Café von frischen Kräutern, Gemüse und Obst sowie verschiedensten Blumen. Das Wasser für die Tröpfchenbewässerung kommt von den umliegenden Dächern und die Bewässerungsanlage wird durch eine Windturbine sowie eine Photovoltaikanlage angetrieben. Zudem sind sämtliche Strukturen und Bauten im Garten aus recycelten, erneuerbaren oder wiederverwendeten Materialien erstellt worden.
Und selbstverständlich richtet sich die Bepflanzung ebenfalls nach den Prinzipien der permakulturellen Ökosystemgestaltung, so umfasst die Liste der Pflanzen nicht weniger als 188 grösstenteils mehrjährige essbare Arten auf den lediglich 200 Quadratmetern. Darunter vier verschiedene Sorten an Äpfeln sowie Birnen, Kirschen, Pflaumen, Mispeln, Kiwis, Feigen, Aronias, Himbeeren, Brombeeren, Stachelbeeren, Johannisbeeren, Reben usw. sowie unzähliges mehrjähriges Gemüse und sogar Shiitake Pilze werden hier angebaut.
Schon erstaunlich, was auf einer so kleinen Fläche möglich ist. Und stellen wir uns nur einmal vor, was möglich wäre, wenn wir eine solche Fülle an Nahrung auf ganze Siedlungen und sogar Städte erweitern würden.
Community Food Forests, Urban Farming und Agrihoods
Die Village Homes in Kalifornien haben gezeigt, dass ein gesamtes Wohnquartier als essbare Landschaft gestaltet werden kann. Und dies ist nicht das einzige Beispiel geblieben in den USA. Inzwischen gibt es über 90 solcher «Agrihoods» in Nordamerika. Der Begriff Agrihood steht hierbei für «Agricultural Neighborhoods», also Nachbarschaften, bei welchen der Anbau von Lebensmitteln bereits in der Planungs- und Bauphase integraler Bestandteil ist. Doch nicht nur der Ertrag von Lebensmitteln ist hierbei das primäre Ziel. Es geht im Allgemeinen auch um eine Erhöhung der Lebensqualität durch mehr Grünflächen, Ästhetik und Erholung aufgrund unmittelbarer Kontaktmöglichkeiten zur Natur.
Aber nicht nur Quartiere welche so geplant wurden, werden als Agrihoods bezeichnet. Auch solche, welche durch verschiedenste «Urban Farming» Initiativen zu solchen gewandelt wurden. Wie z.B. in Detroit, einer Stadt mit ursprünglich etwa 1.6 Mio. Einwohnern zu einer Zeit als die amerikanische Automobilindustrie boomte. Heute leben in der aktuell als «Geisterstadt» bezeichneten ehemaligen Metropole noch etwa die Hälfte der damaligen Einwohner. Im Zuge der Abwanderung mangels vorhandener Arbeitsplätze wurden auch etliche Geschäfte geschlossen und der Zugang zu frischen Lebensmitteln wurde immer schwieriger.
Doch Krisen scheinen vielfach auch die Kreativität der Menschen anzuregen und so begannen die verbliebenen Einwohner einfach damit, unbenutzte Flächen mit Lebensmitteln zu bepflanzen und sich so aus der Stadt heraus selbst zu versorgen.
Wir bezeichnen dies heute als «Urban Farming», also städtische Landwirtschaft. Die Entstehung dieses Begriffes wird Kuba zugerechnet. Denn als die USA im Zuge des kalten Krieges ein Wirtschaftsembargo erliessen, wurde das Erdöl knapp und es konnten keine landwirtschaftlichen Produkte wie Dünger und Pestizide mehr importiert werden. So wurden dann kurzerhand, per Staatsdekret, alle geeigneten Flächen in den Städten zu Anbauflächen gewandelt und grösstenteils auf permakulturelle Weise, d.h. energieeffizient und inputminimiert bewirtschaftet. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert und so wachsen denn auch aktuell noch etwa 70% des in Havanna konsumierten Gemüses in der Stadt selbst.
In Detroit hingegen gibt es mittlerweile über 1’400 Gemeinschaftsgärten und städtische Farmen mit welchen sich die Einwohner mit frischen Lebensmitteln versorgen.
Vom Gemeinschaftsgarten zum Gemeinschaftswaldgarten
Das Konzept des Gemeinschaftsgartens ist auch bei uns bekannt. In urbanen Gegenden, wo die meisten über keinen eigenen Garten verfügen, trotzdem aber nach Möglichkeiten suchen ihr eigenes Gemüse anzubauen, oder einfach nur zu Gärtnern und der Balkon zu klein wird, da geht die Suche meist in Richtung eines Schrebergartens. Diese wurden erstmals Ende des 18ten Jahrhunderts in den Geschichtsbüchern notiert. Ursprünglich als Spielwiese für Kinder konzipiert, dann um Gemüsebeete erweitert und schliesslich parzelliert. So hatten alle wieder ihr eigenes Gärtchen. Getrennt durch meist feinsäuberlich gepflegte Hecken.
Nun, seit einigen Jahren geht der Trend auch langsam wieder ins Gemeinschaftliche. D.h. eine Gruppe von Menschen gärtnert nun wieder zusammen auf einer einzigen Parzelle, dem sogenannten Gemeinschaftsgarten. Meist wird hierbei einjähriges Gemüse, evtl. noch ein paar Beeren oder ein Obstbaum gepflegt.
Und das nächste Kapitel hin zu gemeinschaftlich gepflegten Ökosystemen wurde bereits aufgeschlagen. Gemeinschaftswaldgärten resp. Gemeinschaftsesswälder, aus dem Englischen von «Community Food Forests» resp. «Community Forest Gardens» abgeleitet, sind vor allem in England und den USA keine Seltenheit mehr und seit einigen Jahren Bestandteil vieler Städte dort.
Die meisten von ihnen wurden entweder von Grund auf nach den Gestaltungsprinzipien eines Waldgartens geplant und gepflanzt oder bestehende Gemeinschaftsgärten wurden schrittweise um Sträucher, Bäume und mehrjähriges Gemüse erweitert. Gemeinsam ist den meisten, dass sie von einer Gruppe von Anwohnern gepflegt werden und der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen.
In den USA sind mittlerweile mehr als 84 solcher Community Food Forests gelistet.
«A forest garden is a place where nature and people meet halfway, between the canopy of trees and the soil underfoot. It doesn’t have to look like a forest – what’s important is that natural processes are allowed to unfold, to the benefit of plants, people and other creatures. The result is an edible ecosystem» – Tomas Remiarz
Urbane Esswälder für die Schweiz
Was wäre, wenn alle Städte, Gemeinden und sogar jedes Quartier in der Schweiz «essbar» wären? Was wäre, wenn alle im urbanen Raum lebenden Menschen zu Fuss oder maximal in Velo-Distanz einen Esswald hätten? Wir denken das wäre wunderbar und genau darum wollen wir solche essbaren Landschaften pflanzen und die Schweiz zu einem EssWaldLand machen.
Hierbei helfen wir bei der Planung und Gestaltung der Ökosysteme und unterstützen die Projekte, so dass sich die beteiligten Menschen ebenfalls ähnlich einem Ökosystem organisieren können. Unser Ziel ist ein dezentrales Netzwerk tausender solcher essbaren Landschaften, welche nicht nur die Nahrungssicherheit sowie die stetige und lokale Verfügbarkeit frischer Lebensmittel erhöhen, sondern auch die Biodiversität in unseren Lebensräumen steigern. Zudem sind sie nicht einfach nur schön anzuschauen, sondern verbessern auch die Luftqualität, bieten Abkühlung in heissen Sommern, speichern Wasser und haben nachgewiesenermassen einen positiven Einfluss auf unser Gemüt und unsere Gesundheit. Und nicht zu vergessen, dass sie auch helfen unsere degenerierten Böden wieder aufzubauen sowie Unmengen an CO2 in den Böden und speichern können. Gemäss Eric Toensmeier, einem Dozenten an der Yale Universität und Autor mehrer Standardwerke zum Thema Esswälder, besitzen Food Forests sogar eines der höchsten Potentiale bezüglich Kohlenstoffsequestrierung.
Neben der Ermöglichung von Startfinanzierungen für urbane sowie landwirtschaftliche Esswaldprojekte wollen wir vor allem auch eine Vernetzungsplattform sein, den Wissensaustausch fördern und auch Wissen schaffen. Denn die Forschung im Bereich Esswälder steht noch in den Kinderschuhen. Daher arbeiten wir mit anderen Organisationen sowie Hochschulen zusammen, um die Forschung in den Bereichen Bodenaufbau, Biodiversität, mehrjährige Mischkulturen, Ökosystemdesign etc. zu unterstützen sowie voranzutreiben.
Nun denn, lasst uns Esswälder pflanzen!
Mach mit und
Damit pflanzt du nicht nur Bäume, sondern ganze Ökosysteme. Und Biodiversität. Und Nahrungssicherheit. Und CO2 Speicherung. Und Resilienz gegenüber dem Klimawandel. Und unterstützt den Weg hin zu einer regional selbstversorgten Schweiz. Und, und, und..